Interview über die Grafschaft Bentheim
Im Juni d.J. wurde ich von der Redaktion „Reiseland Niedersachsen“ interviewt:
Über die Leidenschaft zum Radfahren berichtet Burkhard Werner,
Vorsitzender der ADFC-Kreisgruppe Grafschaft Bentheim:
Wie oft steigst du aufs Fahrrad?
Ich fahre täglich mit dem Rad. Ich bin ein sogenannter „Alltagsradler“. Als solcher habe ich mich auch schon sehr früh im örtlichen ADFC engagiert und bin heute ADFC-Kreisvorsitzender mit ca. 200 Aktiven in der Grafschaft Bentheim. Und viele meiner Mitstreiter nutzen ihr Rad ebenfalls in ihrem täglichen Alltag.
Fährst du auch mal mit der Bahn/ mit dem Auto oder bist du ausschließlich per Rad unterwegs?
Wenn es sein muss, fahre ich natürlich auch mit dem Auto; sehr gerne mit der Bahn, weil ich die Reisezeit gut für andere Dinge nutzen und entspannt längere Fahrtstrecken bewältigen kann. Um vor Ort mobil zu sein, nehme ich dann auch gerne mein Klapprad mit. Ansonsten versuche ich alle Wege mit meinen Rädern zu erledigen und genieße die Unabhängigkeit und Bewegungsmöglichkeit auf dem Rad.
Warum eignet sich die Grafschaft Bentheim besonders gut zum Fahrradfahren?
Insbesondere wenn ich wieder von einer Tour aus dem Ausland in die Grafschaft zurückkehre, bemerke ich ganz deutlich, wie schön und fahrradfreundlich unsere Region im Gegensatz zu vielen anderen Ländern und Regionen ist. Es gibt hier tolle Radwege mit gut ausgewiesenen Radwegesystemen, eine Fahrradinfrastruktur, die das Radfahren begünstigt: z. B. die Fahrradmitnahme im Bus, Abstellmöglichkeiten für Fahrräder etc.
Es ist eben ganz normal, wenn man in der Grafschaft das Fahrrad, oder wie man hier sagt, die „Fietse” nutzt.
Wie kommt es, dass die Region so fahrradfreundlich ist und in diesem Bereich regelmäßig Auszeichnungen abräumt? Was macht diese „Fahrradfreundlichkeit“ aus?
Ich sagte ja schon, es ist hier eben ganz normal, wenn man die „Fietse” nutzt. Das liegt sicherlich auch an der Nähe zu den Niederlanden. Die Region ist flach, die Entfernungen sind kurz. Es gibt überall Radwege, die direkt und gut befahrbar zum Ziel führen.
Als ich beruflich einige Jahre in einer Großstadt lebte, war man entweder Radfahrer oder Autofahrer. Man musste sich quasi für ein Verkehrsmittel entscheiden. In der Grafschaft ist man beides. Auch Autofahrer sind zumindest an den Wochenenden häufig begeisterte Radfahrer. Und dieses Miteinander ist auch im Alltag zu spüren. Es ist hier einfach normal, wenn man Fahrrad fährt. Und es ist entspannend und erholsam, für seine täglichen Wege die „Fietse” zu nutzen.
Natürlich gibt es auch harte Faktoren, die unsere „zertifizierte” Fahrradfreundlichkeit ausmachen. Das haben unsere örtlichen Politiker rechtzeitig erkannt und setzten kontinuierlich diese Ideen in die Praxis um. Und im Straßenbild nimmt man diese Politiker auch wahr, wenn sie selbst das Fahrrad nutzen.
Was ist an der Region besonders schön und einzigartig? Warum sollten Reisende hier ihren Urlaub verbringen oder einen Zwischenstopp einlegen?
Es gibt neben dem Radwegenetz eine Menge Wasserwege und Kanäle, an denen sich das Radwandern ideal anbietet und die für flache Etappen sorgen. Derzeit gibt es in der Grafschaft Bentheim eine wegweisende Beschilderung durch Ziel-, Tabellen- und Zwischenwegweiser. In der Umsetzungsphase befindet sich gerade die Installation eines kreisweiten Knotenpunktsystems, womit den Wünschen der radfahrenden Gäste und Einheimischen Rechnung getragen werden soll. Damit wird dann in der Grafschaft Bentheim zu Beginn der nächsten Fahrradsaison zusätzlich ein regionsübergreifendes einheitliches Wegweisungssystem vorgehalten, dass eine flexible Planung von Radtouren ermöglicht.
In den umliegenden angrenzenden Regionen wird ebenfalls derzeit die Installation von Knotenpunktsystemen geplant und voraussichtlich auch in 2020/21 umgesetzt, so dass zukünftig Routen über die Kreisgrenze miteinander verknüpft werden können.
Die Grafschaft ist an mehrere auch internationale Rad(fern)wege (z. B. Vechtetalroute, Oranierroute) angebunden. Die Städte der Grafschaft verfügen häufig über historische Attraktionen (z.B. Burg Bentheim) oder Stadtkerne mit vielen touristischen Angeboten. Man wird in der Grafschaft zum Zeitzeugen des erfolgreichen Wandels in der Textilindustrie und findet eine gute Erreichbarkeit mit dem Zug und dem Auto vor.
Die Grafschaft ermöglicht den Blick über die Grenze, vermittelt einen Eindruck von „typisch Deutsch und typisch niederländisch”, vermittelt Gastfreundlichkeit und ein entschleunigtes Leben.
Einige Radtouren führen auch über die Grenze in die benachbarten Niederlande …
Genau. Häufig merkt man nicht einmal, dass man die ehemalige Landesgrenze überschreitet. Und gerade das macht auch den besonderen Reiz aus, andere Regionen zu erkunden. Die Region Drente und Overijsel sind sehenswerte Regionen, die einen Blick über den Tellerrand ermöglichen und touristisch ebenfalls viele Möglichkeiten eröffnen.
Von Freunden, die mich besuchen, höre ich oft den Ausspruch: Das ist hier ja wie in Holland! Und Niederländer erleben die Grafschaft als „typisch Deutsch”. Und das zeichnet die Grafschaft auch meines Erachtens aus. Wir haben von beiden Ländern etwas!
Du schreibst ein Online-Tagebuch über das Fahrradfahren (radetappen.de) – und das sind keine langweiligen Berichte, es geht zum Teil ganz schön spannend zu: In rauschender Fahrt schoss ich die Abfahrt hinunter. Rechts und links war die Straße von einer kleinen Mauer begrenzt, sodass ich die Straße nicht kontrolliert verlassen konnte. Bei einem kurzen Blick auf den Tacho zeigt dieser inzwischen eine Geschwindigkeit von 70 km(!). Ich hoffte immer noch, dass ich die Straße irgendwo in einer Ausfahrt oder in einem Schotterbett verlassen konnte und raste bergab. … die Story endet mit: Den 18. Mai begehe ich noch heute ganz bewusst als meinen zweiten Geburtstag!
Auf meinem Blog www.radetappen.de schreibe ich über meine Erlebnisse auf dem Rad. Mit 4 oder 5 Jahren habe ich das Radfahren erlernt und bin mein ganzes Leben dabeigeblieben. Natürlich erlebt man als Alltagsradler eine Menge spannende und lustige Geschichten. Entweder hier in der Grafschaft, auf dem Weg zur Arbeit, in der Freizeit oder auf meinen Touren in ganz Europa. Diese Erlebnisse und Erfahrungen habe ich inzwischen in einem Buch mit dem Titel „Die außergewöhnlichen Radtouren eines Bürokraten“ zusammengefasst und schreibe auch in meinem Blog hierüber.
Mein Blog ist ein ideales Medium, um diese Dinge zusammenzutragen, zu beschreiben und anderen Radfahrern diese insgesamt positiven Erlebnisse und Erfahrungen zugänglich zu machen.
Als bei einer Passabfahrt in den griechischen Bergen vor einigen Jahren die Scheibenbremsen versagten, erlebte ich in der Tat diese ganz gefährliche Situation. Ich hatte Glück und habe diese Grenzsituation überleben dürfen.
Wie hat dich dieses Erlebnis verändert?
In erster Linie empfand ich tiefe Dankbarkeit, als ich im Krankenhaus realisiert hatte, was da passiert war. Und bis heute genieße ich mein Leben besonders und begehe diesen 18. Mai in jedem Jahr ganz bewusst. Inzwischen erinnere mich sehr gerne an dieses Erlebnis.
Du warst mit dem Rad auch schon in Weißrussland, Rom und Jerusalem und hast Frankreich, Italien, Griechenland und die Türkei durchquert. Das hättest du schon viel früher machen sollen, schreibst du jetzt. Hast du generell die Erfahrung gemacht, dass man zu viel nachdenkt und es später bereut, etwas nicht gemacht zu haben?
Diese Aussage bezieht sich eher auf die Art und Weise, wie man auch extrem lange Rad- oder Erlebnisreisen realisieren kann. Nämlich in Etappen! Dadurch war es mir auch trotz meiner Berufstätigkeit möglich, ein mehrere Tausend Kilometer entferntes Ziel mit dem Rad zu erreichen. Ich bin im Urlaub aus der Grafschaft in die anvisierte Richtung gestartet. Der Endpunkt der Etappe nach einer oder zwei Wochen wird dann im folgenden Jahr der Startpunkt für die kommende Urlaubsetappe. So habe ich z. B. Gomel in Weißrussland oder auch Jerusalem, Istanbul, Rom u.ä. erreicht.
Jeden Dienstag seit 12 Jahren trifft sich die „Grafschafter Liegeradfraktion“, eine Gruppe, die leidenschaftlich gerne Liegefahrrad fährt. Was ist das Besondere am liegenden Fahren? Für jemanden, der das noch nicht ausprobiert hat, wirkt es gefährlicher.
Genaugenommen ist das Liegeradfahren sogar ungefährlicher als das Radfahren auf einem normalen Fahrrad. Denn wenn man fällt, dann fällt man nicht so tief und immer mit den Beinen vorweg. 😉 Das ist ansonsten beim Radfahren leider nicht so.
Das Besondere aber beim Liegeradfahren ist die hohe Bequemlichkeit und das höhere Durchschnittstempo. Man kann sehr lange Strecken ermüdungs- und schmerzfrei für Po, Schultern oder Handflächen in deutlich höherer Geschwindigkeit zurücklegen als mit dem normalen „Hochkant”- Fahrrad. Aber das muss jeder für sich selbst entscheiden. Man muss sich einfach wohlfühlen auf seinem Rad.
Im Laufe der Jahre hat sich dann eine Gruppe von Liegeradfahrern gebildet, die einmal wöchentlich zusammen in unserer Region mit dem Liegerad auf Augenhöhe unterwegs ist. Das genießen wir alle und freuen uns auf die wöchentliche Radtour. In der Grafschaft übrigens eine typische Freizeitgestaltung. Viele Gruppen, Nachbarn oder Freunde treffen sich abends noch zu einer Feierabendtour.
Wie viele Fahrräder hast du und welches fährst du am liebsten?
Zurzeit besitze ich acht Fahrräder (früher hatte ich sogar deutlich mehr). Darunter sind aber allein schon 4 Tandems, die ich bei meinen auswärts wohnenden Kindern abgestellt habe. So bin ich auch dort mit meiner Partnerin mobil. Ansonsten verfüge ich über ein Klapprad (wenn ich mit dem Zug unterwegs bin), ein Lastenrad für größere Transporte, Einkäufe etc., ein Liegedreirad und ein zweirädriges Liege-Tourenrad für meine weiten Radreisen. Mit diesem Rad bin ich schon von der Grafschaft Bentheim durch ganz Europa bis nach Jerusalem, aber auch durch Polen und Weißrussland geradelt.
Die Corona-Pandemie hat sich auch auf den Radsport ausgewirkt: Die Leute waren und sind vermehrt mit dem Rad unterwegs, genießen auf diesem Wege die Natur oder bleiben sportlich aktiv. Kannst du uns eine Route nennen, die besonders herausfordernd ist und eine, die besonders kinderfreundlich ist?
Nun ja, den Umfang der Herausforderung definiert man ja selbst. Man kann sehr ambitionierte längere und auch anstrengende (Rad)-Touren in unserer Region unternehmen. Es gibt sogar hügelige Strecken in der Region. Nicht umsonst kommen aus dieser Region auf beiden Seiten der Grenze einige gute Radsportler und auch diese finden immer wieder ideale Voraussetzungen für ambitionierte Trainingsrunden.
Besonders kinderfreundlich sind unsere Stecken allemal. Hier kann man noch viele Erlebnisse entlang der Strecke einplanen und quasi nebenbei mitnehmen: z.B. ein Besuch im Nordhorner Tierpark, eine Burgbesichtigung in Bad Bentheim, der Bronzehof in Uelsen oder die Fahrradfähre in Neuenhaus, wo man sich selbst mit seinem Fahrrad per Hand über den „Dinkelsee ”ziehen kann sind nur einige Beispiele. Und so gibt es in der Grafschaft noch viel, viel mehr zu entdecken.
Stand: Juni 2020
Ein Gedanke zu „Interview über die Grafschaft Bentheim“